Immer wieder tauchen Berichte über religiös motivierte Angriffe auf Schulhöfen auf. In den Schlagzeilen klingt es oft, als würde Religion zunehmend zum Motor für Mobbing. Doch was zeigen wissenschaftliche Daten und Erfahrungen aus der Praxis wirklich?
Zeichen gegen Mobbing e. V. begleitet jedes Jahr zahlreiche Schulen in Präventions- und Interventionsprojekten. Unser Eindruck ist eindeutig: Religiöses Mobbing ist in der Gesamtbetrachtung kein verbreitetes Muster. Einzelfälle existieren, aber sie sind nicht das, was die Mehrzahl von Kindern im Alltag betrifft
Daten und Erfahrungen aus der Praxis
Wie entsteht Mobbing überhaupt?
Um religiöses Mobbing einzuordnen, hilft ein Blick auf die Grundlagen. Mobbing ist kein Konflikt zwischen zwei Kindern, sondern ein Gruppenphänomen. Es entsteht, wenn eine Person als „anders“ wahrgenommen wird und diese Andersartigkeit genutzt wird, um Machtverhältnisse zu verschieben (HBSC-Studie 2018; Alsaker 2020).
Die Forschung zeigt klar: Es kann jedes Kind treffen. Kein Merkmal macht automatisch zum Opfer. Bestimmte Faktoren können das Risiko erhöhen, etwa wenn ein Kind vom „Normalbild“ der Gruppe abweicht – sei es durch Aussehen, eine Behinderung, soziale Herkunft oder auch Religion. Entscheidend ist jedoch das Gruppengefüge: Je weniger Zusammenhalt und klare Haltung es gibt, desto eher wird eine abweichende Eigenschaft zur Angriffsfläche (UNICEF Schweiz 2021; Inklusionsbarometer Jugend 2025).
Mehr dazu liest du im Blogartikel: Wer ist in der Schule von Mobbing betroffen?
Religiöses Mobbing in Zahlen: Was wissen wir?
Eine bundesweite Statistik gibt es nicht. Einzelne Umfragen, wie die der Internationalen Hochschule Hannover (2024), zeigen, dass etwa ein Drittel der befragten Schulbeschäftigten religiöse Konflikte erlebt hat. Dabei ist wichtig: Ein religiöser Konflikt ist nicht automatisch religiöses Mobbing. Viele dieser Situationen sind Aushandlungsprozesse in vielfältigen Klassen und haben nichts mit systematischem Ausgrenzen zu tun (IU Hannover 2024).
Bildungsministerien beschreiben religiöses Mobbing durchweg als Einzelfälle. Selbst in Bundesländern mit dokumentierten Beratungsanfragen zeigt sich kein Trend nach oben. Unsere eigenen Projekte bestätigen: Religiöse Bezüge in Mobbingfällen sind nicht häufiger als andere Merkmale wie Kleidung, Aussehen oder soziales Verhalten.
Die Perspektive religiös motivierter Mobbender
Was treibt Kinder an, andere über Religion abzuwerten? Forschung und Praxis geben ein deutliches Bild: Die Religion selbst ist selten der Kern. Vielmehr nutzen Kinder Religion als Symbol für Zugehörigkeit, Macht und Identität. In manchen Gruppen ist es „wirksam“, sich als besonders gläubig zu inszenieren und andere damit unter Druck zu setzen.
Psycholog:innen sprechen von Grundbedürfnissen, die dahinterstehen: Zugehörigkeit, Selbstwirksamkeit und Sicherheit. Kinder, die selbst Verunsicherung erleben – sei es durch Ausgrenzung, kulturelle Brüche oder schwierige Familienverhältnisse – suchen nach Wegen, ihre Position in der Gruppe zu stärken. Religion bietet dann einen leicht greifbaren Rahmen (Junus el-Naggar; VPN Niedersachsen).
Das macht deutlich: Religiöses Mobbing ist weniger eine Frage des Glaubens, sondern eine der Gruppendynamik und Identitätssuche. Wer das übersieht, bekämpft die falsche Ebene.
Warum wir bei diesem Thema einen kühlen Kopf brauchen
Wenn einzelne Fälle religiösen Mobbings in den Medien aufgegriffen werden, entsteht schnell der Eindruck eines großen Trends. Genau hier ist Zurückhaltung wichtig. Übersteigerte Berichterstattung kann Ängste schüren und Schulen in gesellschaftliche Konflikte hineinziehen, die mit den eigentlichen Kindern wenig zu tun haben.
Mobbingprävention braucht Fakten statt Schlagzeilen. Als Verein sehen wir: Entscheidend ist nicht, ob Religion, Kleidung oder Haarfarbe im Mittelpunkt steht. Entscheidend ist, dass wir das soziale Klima in Klassen stärken und Kinder befähigen, miteinander respektvoll umzugehen – unabhängig von Herkunft und Glaube (RKI 2020; Alsaker 2020).
Mobbing verstehen heißt, Kinder schützen
Religiöses Mobbing existiert, aber es ist kein Massenphänomen. Einzelne Vorfälle dürfen nicht als Beweis für eine „Entwicklung“ interpretiert werden. Wer Mobbing wirklich verhindern will, muss die Mechanismen dahinter verstehen – und sie sind immer sozial, nicht kulturell.
Jetzt informieren:
Was steckt hinter dem Begriff Mobbing?
Quellen:
- Fischer, S. M. et al. (2020). Mobbing und Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse der HBSC‑Studie 2017/18 und Trends. Journal of Health Monitoring, 5(3), 56–72. DOI 10.25646/6894.
https://edoc.rki.de/handle/176904/6972 ResearchGateE-doc Server - Aktion Mensch & Handelsblatt Research Institute (2024). Inklusionsbarometer Jugend – Eine Studie zu ungleichen Teilhabechancen von jungen Menschen in Deutschland. Befragung von 1.442 Jugendlichen (14–27 Jahre).
https://www.aktion-mensch.de/inklusion/studien/inklusionsbarometer-jugend - UNICEF Schweiz (2021). Psychische und körperliche Gewalt an Schweizer Schulen ist Alltag. Aargauer Zeitung.
https://www.aargauerzeitung.ch/leben/mobbing-neue-studie-psychische-und-koerperliche-gewalt-an-schweizer-schulen-ist-alltag-ld.2138938 - Internationale Hochschule Hannover / IU (2024). Religiöse Konflikte an Schulen – Umfrage unter ca. 700 Beschäftigten an deutschen Schulen.
- Alsaker, F. (2023): Es kann jedes Kind treffen – Wie werden Kinder zu Mobbingopfern oder -tätern? Fritz+Fränzi Elternmagazin.
https://www.fritzundfraenzi.ch/francoise-alsaker-es-kann-jedes-kind-treffen - Bertelsmann Stiftung (2023). Religionsmonitor 2023: Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland.
- Robert Koch-Institut (2020). Mobbing und psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Journal of Health Monitoring.
https://edoc.rki.de/handle/176904/6972
Hinweis: Das Titel-Bild wurde von Künstlicher Intelligenz (KI) generiert.