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Warum wir mit Blick auf das Thema Mobbing ein Handyverbot an Schulen für sinnvoll halten


Kinder und Jugendliche verbringen durchschnittlich 36,9 Stunden pro Woche am Smartphone. Das zeigt die Postbank Jugend-Digitalstudie 2023. Das sind über fünf Stunden täglich – ein Umfang, der nicht nur den Alltag vieler junger Menschen dominiert, sondern auch zunehmend in die Schule hineinwirkt. Eine Studie der Organisation Common Sense Media fand zudem heraus, dass Jugendliche täglich rund 237 Benachrichtigungen erhalten, 20 Prozent davon während der Schulzeit. Die Folgen liegen auf der Hand: Ablenkung, Dauerstress und ständige Erreichbarkeit belasten das Lernen und Miteinander.

Besonders gravierend ist der Zusammenhang zwischen exzessiver Smartphone-Nutzung und Mobbing. Die ständige Verfügbarkeit digitaler Kanäle ermöglicht es Mobbenden, rund um die Uhr aktiv zu sein. Betroffene erleben die Schule nicht mehr als Schutzraum, sondern als Verlängerung digitaler Dynamiken. Fotos werden heimlich gemacht, in sozialen Netzwerken verbreitet, Gruppenkommunikation schließt aus, und das Smartphone wird zum Instrument sozialer Kontrolle.

Ein Kind schaut auf ein Smartphone, auf dem die App Tik Tok geöffnet ist.

Warum brauchen wir ein Handyverbot an Schulen?

Ein differenziertes Handyverbot kann helfen, diesen Entwicklungen aktiv entgegenzuwirken. Studien belegen, dass Kinder sich weniger gut konzentrieren können, wenn das Smartphone in Reichweite ist. Selbst dann, wenn es nicht genutzt wird. Eine oft zitierte Quelle ist hier die PISA-Studie 2022, die zeigt: Je länger Schüler:innen das Smartphone in der Schule privat nutzen, desto schlechter schneiden sie bei Leistungstests ab. Auch neuropsychologische Studien, etwa von Prof. Klaus Zierer untermauern die ablenkende Wirkung bereits durch die bloße Anwesenheit des Geräts. 

Der Schulpädagoge Prof. Klaus Zierer betont, dass der für Impulskontrolle zuständige präfrontale Kortex bei Jugendlichen erst mit etwa 16 bis 24 Jahren ausgereift ist. Ohne klare Grenzen können Kinder und Jugendliche dem Reiz des Smartphones oft nicht selbstbestimmt widerstehen. Das ist kein individuelles Versagen, sondern eine entwicklungspsychologische Tatsache. Schulen müssen daher diesen Raum der Begrenzung bieten. 

„Ein Handyverbot ist keine Strafe, sondern eine Schutzmaßnahme. Wer miterlebt hat, wie sehr einzelne Nachrichten den Alltag von betroffenen Kindern zerstören können, versteht, warum Schulen sichere Räume schaffen müssen“, sagt Marek Fink, Sozialwissenschaftler und Gründer von Zeichen gegen Mobbing e. V. 

Gehören Smartphones nicht zur Lebensrealität von Kindern?

Doch, sie gehören dazu. Aber gerade weil sie so zentral sind, brauchen Kinder Orte, an denen sie nicht ständig erreichbar, vergleichbar und kontrollierbar sind. Die Schule kann und sollte genau so ein Ort sein. 

„Wir müssen Schule als Schutzraum denken. Jugendliche erleben in sozialen Medien enormen Druck. Wenn wir ihnen im Schulalltag keine Pause davon bieten, verschärfen wir das Problem“, so Marek Fink.

Verhindert ein Handyverbot Medienbildung?

Ganz im Gegenteil. Ein Handyverbot, das die private Nutzung außerhalb des Unterrichts einschränkt, schafft Raum für gezielte, strukturierte Medienbildung. Medienkompetenz bedeutet nicht, ständig Zugriff auf soziale Netzwerke zu haben, sondernden Umgang mit digitalen Technologien bewusst und reflektiert zu erlernen

Pädagogisch begleitete Nutzung im Unterricht mit Schulgeräten bleibt weiterhin sinnvoll und notwendig. Wichtig ist: Nicht das Handy an sich ist das Problem, sondern der unregulierte, private Gebrauch im schulischen Kontext.

Ein Junge schaut, auf der Treppe sitzend, auf sein Smartphone.

Kann ein Handyverbot Mobbing verhindern?

Ein Verbot allein löst kein Mobbing auf. Aber es ist ein wirksames Schutzinstrument:

  • Technische Angriffe unterbinden: Ohne Smartphone können keine Fotos oder Videos heimlich aufgenommen und verbreitet werden. Viele digitale Formen von Mobbing – z. B. über Gruppenchat-Ausschlüsse oder beschämende Bilder – verlieren im schulischen Raum ihre Macht.
  • Entlastung für Betroffene: Wenn klar ist, dass das Smartphone im Schulkontext keine Rolle spielt, können sich betroffene Schüler:innen für ein paar Stunden sicherer fühlen. Das reduziert Stress und kann ein erster Schritt zur Stabilisierung sein.
  • Sozialen Druck reduzieren: Wer kein teures Smartphone besitzt oder bei Trends nicht mitmacht, ist oft schnell Ziel von Ausgrenzung oder Spott. Ein Handyverbot nivelliert Unterschiede und nimmt Schüler:innen den Druck, ständig präsent und online sein zu müssen.

„Wer von uns Erwachsenen möchte unter ständiger Beobachtung stehen? Für viele Schüler:innen ist das durch Smartphones Alltag. Ein Handyverbot schenkt ihnen Privatsphäre zurück“, betont Marek Fink.

Was sagen Kritiker:innen eines Handyverbots?

„Ich will mein Kind erreichen können.“ 
Diese Sorge ist nachvollziehbar – besonders in einer Welt, die von Flexibilität und kurzfristigen Planänderungen lebt. Aber: Erreichbarkeit funktioniert auch ohne Smartphone. Viele Familien nutzen einfache Tastenhandys oder spezielle Kinderuhren, mit denen die Kinder nur festgelegte Nummern anrufen oder SMS schreiben können. So bleibt der Kontakt in Notfällen möglich, ohne dass der volle Zugang zum Internet oder zu sozialen Medien gegeben ist. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass solche Lösungen nicht für alle Familien gleichermaßen zugänglich sind – sei es aus finanziellen Gründen oder aufgrund fehlender Informationen. Deshalb braucht es unterstützende schulische Rahmenbedingungen, etwa die Möglichkeit, schulisch organisierte Kontaktwege im Notfall zu nutzen – wie etwa den klassischen Anruf im Sekretariat, der schon lange zuverlässig funktioniert. Dieser Aspekt muss in einem ganzheitlichen Konzept mitgedacht werden.

„Kinder müssen lernen, mit dem Handy umzugehen.“ 
Das ist richtig – aber Lernen braucht einen klaren Rahmen. Der Umgang mit digitalen Medien ist ein Lernprozess, der nicht durch ständige Verfügbarkeit geschieht, sondern durchgezielte pädagogische Begleitung. In der Schule sollte Medienbildung deshalb strukturiert stattfinden: mit altersgerechten Inhalten, Diskussionen über Privatsphäre, Algorithmus-Logiken und die Wirkung digitaler Kommunikation auf das Selbstbild. Dazu braucht es Geräte, aber nicht zwangsläufig private Smartphones. 

„Ein Verbot bringt nichts – Kinder finden Wege.“ 
Ja, Kinder sind kreativ und umgehen auch mal Regeln. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass Regeln keinen Sinn machen, wäre fatal. Auch im Straßenverkehr gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen – obwohl manche sie überschreiten. Gute Regeln setzen Standards, geben Sicherheit und laden zur Reflexion ein. Und: Sie senden eine klare Botschaft darüber, was in der Schule gewollt ist – und was nicht. 

Mobbing im Netz

Warum braucht es zentrale Regelungen?

Aktuell hängt es vielerorts von einzelnen Schulen ab, ob und wie Handyverbote umgesetzt werden. Das führt zu Verunsicherung, unklaren Zuständigkeiten und Inkonsequenz. Lehrkräfte werden dadurch in Einzelfällen mit Konflikten alleingelassen und tragen die Verantwortung, ohne eine verlässliche rechtliche Grundlage zu haben.
Wir sehen in einer landesweiten oder bundesweiten Regelung eine notwendige Entlastung für Schulen: Sie schafft klare, rechtssichere Rahmenbedingungen, auf die sich alle Beteiligten verlassen können – insbesondere dann, wenn es zu Konflikten oder Elternbeschwerden kommt. Gleichzeitig ermöglicht sie, dass Schulen bei der Umsetzung mitgestalten können – etwa bei der Auswahl technischer Lösungen, pädagogischer Begleitmaßnahmen oder der konkreten Integration ins Schulkonzept. So entsteht ein verlässlicher Ordnungsrahmen, ohne dass Schulen jede Grundsatzfrage allein aushandeln müssen.

Zeichen gegen Mobbing e. V. fordert eine landesweite Regelung, die Schulen entlastet und klare Rahmen schafft. Nur so entsteht eine verbindliche Grundlage, auf die sich Schüler:innen, Eltern und pädagogisches Personal verlassen können – ohne ständig neu verhandeln zu müssen.

Welche Voraussetzungen braucht ein wirksames Handyverbot?

Damit ein Handyverbot Wirkung entfalten kann, braucht es mehr als ein einfaches „Verbotsschild“. Es muss in das Schulklima eingebettet sein und folgende Elemente berücksichtigen: 

  • Klare Schulregeln, die gemeinsam mit Eltern, Schüler:innen und dem Lehrkräfteteam entwickelt und transparent kommuniziert werden. Je besser die Beteiligung, desto höher die Akzeptanz. 
  • Technische Hilfsmittel wie abschließbare Handyboxen, Taschen mit Magnetverschluss oder zentrale Aufbewahrungssysteme, die den Zugang zu Geräten im Schulalltag tatsächlich verhindern, ohne unnötigen Verwaltungsaufwand zu erzeugen. Welche Lösung gewählt wird, kann dabei vor Ort entschieden werden – je nach räumlichen Gegebenheiten, Altersstufe oder pädagogischem Konzept. 
  • Aktive Pausengestaltung mit Bewegungsangeboten, Rückzugsräumen und Möglichkeiten zum sozialen Austausch. Kinder brauchen Alternativen zur digitalen Ablenkung – nicht nur Verbote. 
  • Verbindliche Medienbildung, die fest im Curriculum verankert ist. Hier geht es nicht nur um Bedienkompetenz, sondern um ethische Fragen, Datenschutz, soziale Auswirkungen und kritisches Denken im digitalen Raum. 
  • Begleitende Elternarbeit, die Familien informiert, einbindet und unterstützt. Viele Konflikte entstehen aus Unsicherheit oder mangelndem Wissen über digitale Gefahren. Gemeinsame Verantwortung ist hier der Schlüssel. 
  • Verankerung von Mobbingprävention im Schulprogramm. Handyverbote wirken nur im Zusammenspiel mit einem schlüssigen Konzept zur Gewaltprävention – online wie offline. 

Wir wissen, dass nicht alle Schulen aktuell über optimale Rahmenbedingungen verfügen – etwa bei der Aufbewahrungstechnik oder personellen Kapazität. Aus unserer Sicht darf das jedoch kein Argument gegen ein Verbot sein, sondern sollte Anlass sein, diese Voraussetzungen systematisch zu verbessern. Ein Handyverbot kann auch in einfachen Strukturen funktionieren, wenn es klar kommuniziert, pädagogisch begleitet und gemeinsam getragen wird.

Was fordert Zeichen gegen Mobbing e. V.?

Wir sprechen uns für ein bundesweites Verbot der privaten Smartphone-Nutzung im Unterricht und auf dem Schulgelände aus. Nicht, weil wir gegen Digitalisierung sind. Sondern weil wir Schule als sozialen Schutzraum verstehen. Die privaten Geräte schaffen soziale Ungleichheit, erhöhen den sozialen Druck und begünstigen Mobbing. 

Gleichzeitig fordern wir: 

  • Eine bundesweite Verankerung von Medienbildung in Lehrplänen 
  • Den flächendeckenden Einsatz von Schulgeräten für digitalen Unterricht 
  • Verbindliche Fortbildungen für Lehrkräfte zu digitaler Gewalt 
  • Eine klare gesetzliche Grundlage für Handyverbote in Schulgesetzen 

Ein Handyverbot ist kein Allheilmittel. Aber es ist ein konkreter, wirksamer Schritt, um Mobbing in der Schule zu begrenzen, Stress zu reduzieren und Lernräume zu schützen. Verbote wirken dann, wenn sie mit Verständnis, Beteiligung und klarer Haltung verbunden sind. 

„Wir müssen aufhören, Digitalisierung und Schutz gegeneinander auszuspielen. Schule muss beides bieten: digitale Kompetenz und psychische Sicherheit“, sagt Marek Fink