Mobbing in der Schule: Folgen des anhaltenden Corona-Ausnahmezustands (Teil 1)
Seit inzwischen einem Jahr befinden sich Schulen in ganz Deutschland im absoluten Ausnahmezustand. Wir alle erleben, wie seit Monaten Maßnahmen zur Einschränkung sozialer Kontakte eingesetzt werden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu kontrollieren. Kinder und Jugendliche treffen diese Maßnahmen besonders hart.
Rückblick auf fordernde Monate der Pandemie
„Ihr habt wohl seit einem Jahr nichts mehr zu tun“, spiegelt die Freundin eines Vereinsmitglieds im Dialog den weitverbreiteten Irrtum, dass Mobbingsituationen von der Corona-Pandemie gelöst wurden. Bereits vor einem Jahr haben wir transparent dargestellt, wie sich Mobbing in der Schule durch die Pandemie verändert.
Heute können diese Erkenntnisse erweitert werden: Zahlreiche Fehleinschätzungen der Öffentlichkeit hinsichtlich der Auswirkungen bisheriger Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus auf Schüler:innen sehen wir als Anlass, um den dringenden Bedarf einer öffentlichen Diskussion um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zu verdeutlichen. Sie stehen seit langer Zeit vor diversen psychischen und sozialen Herausforderungen. Wie gehen Schüler:innen insbesondere mit der anhaltenden Schließung von Schulen um? Institutionelle Bildungseinrichtungen spielen mit Abstand die größte Rolle in Hinblick auf Freund:innenschaften von Kindern und Jugendlichen. Auf der Suche nach Orientierung fällt allerdings nicht nur die Schule als soziales Umfeld weg, sondern auch außerschulische Präsenztreffen mit Freund:innen und Vereinstreffen jeglicher Art.
Stärkere Betroffenheit der Pandemie von Kindern
Die Krise trifft Kinder und Jugendliche noch stärker als Erwachsene, weil sie sich entwicklungspsychologisch in einer entscheidenden Phase der Identitätsbildung befinden. Für eine gesunde Entwicklung sind sie darauf angewiesen, sich sowohl in täglich wechselnden Situationen als auch im sozialen Miteinander erleben und ausprobieren zu können. Diese Möglichkeiten bleiben ihnen inzwischen seit zwölf Monaten zu großen Teilen verweht. Für Schüler:innen stellt das vergangene Jahr deshalb unabhängig einer Mobbingsituation eine belastende Zeit dar. Von heute auf morgen verloren Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen zu treffen. Seitdem sind Schüler:innen deutlich unzufriedener mit ihren Freund:innenschaften. Acht von zehn Schüler:innen geben an, dass ihnen ihre Mitschüler:innen fehlen. Dies hat maßgeblichen Einfluss auf die Sozialisation dieser jungen Menschen.
Digitale Kontaktpflege als Präsenz-Alternative
Stattdessen müssen Schüler:innen auf digitale Kommunikationsmittel zurückgreifen, um am Unterricht teilzunehmen und sich mit Freund:innen zu vernetzen. Onlinenetzwerke nehmen eine entscheidende Bedeutung ein, wenn die verschiedenen Möglichkeiten der Kontaktpflege betrachtet werden. Oftmals sind digitale Medien sogar die einzige Möglichkeit, um Kontakte aufrechtzuhalten und zu pflegen. In der Folge verbringen Schüler:innen seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr Zeit vor Bildschirmen. Dabei stehen ihnen unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung: Je jünger die Schüler:innen sind, desto weniger Erfahrungen haben sie im Umgang mit digitalen Medien. Es ist davon auszugehen, dass nur ein sehr geringer Teil der Schüler:innen Erfahrungen damit hat, wie sie soziale Kontakte mithilfe von digitalen Medien pflegen können. Dies wirkt sich massiv auf das Verhältnis zu sozialen Kontakten aus.
Digitale Barrieren hinsichtlich des Miteinanders
Außer Acht gelassen werden darf auch nicht, dass online nicht alle Kontakte aufrechterhalten werden können. Stattdessen gibt es beispielsweise Barrieren, mit bestimmten Personen zu schreiben. Diese treffen insbesondere auf jene Personen zu, mit denen schon vor der Pandemie kein intensiver Kontakt bestand. Zugleich ersetzt der Kontakt zu einzelnen aus der Wahrnehmung von Schüler:innen heraus nicht das Treffen in Gruppen. Gewohnte Alltagsroutinen wie regelmäßige Treffen und Übernachtungen müssen den Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung weichen. Stattdessen werden gemeinsame Aktivitäten ins Netz verlagert. Insbesondere Videokonferenz-Tools werden genutzt, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Auf diese Möglichkeit können jedoch nicht alle Kinder und Jugendliche zurückgreifen – vor allem dann nicht, wenn sie von Gleichaltrigen davon ausgeschlossen werden. Ein Viertel der Schüler:innen war während der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen nicht in der Lage, Kontakt zu Freund:innen zu halten. Zugleich können die Bedürfnisse nach körperlicher Nähe und nach persönlichem Austausch nicht von digitalen Medien ersetzt werden.
Steigende Fälle von Cybermobbing
Weiter noch, als den Anschluss zu Gleichaltrigen zu verlieren, geht die aktive Ausübung digitaler Gewaltformen. Jede sechste Person im Alter von acht bis 21 Jahren wird im Netz beschimpft, beleidigt, ausgegrenzt oder bedroht. Zwei Millionen Kinder und Jugendliche (17,3 Prozent) waren 2020 von Cybermobbing betroffen. Seit dem Jahr 2017 entspricht das einem Anstieg um 36 Prozent. Besonders besorgniserregend ist, dass dieser Trend längst nicht mehr vor den Grundschulen Halt macht. Nach Elternberichten ist bereits jedes zehnte Kind im Grundschulalter von Cybermobbing betroffen. Betroffene Schüler:innen erhalten nur selten kompetente Hilfe, weil der Kontakt zu festen Bezugspersonen an Fachkräften fehlt. Akteur:innen wiederum wird in der aktuellen Situation regelmäßig nicht gespiegelt, dass ihre Handlungen nicht in Ordnung sind. Das Verhalten jener Kinder und Jugendlichen konnte sich durch fehlendes Eingreifen also längst etablieren.
Folgen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche
Emotionale Probleme von Kindern und Jugendlichen werden durch die Pandemie verstärkt. Bei jedem vierten Kind sind emotionale Schwierigkeiten zu verzeichnen. Konkret drückt sich das durch häufige Niedergeschlagenheit und Unglücklichsein, Weinen, psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und Übelkeit, viele Sorgen oder Ängste, Nervosität und Einbußen hinsichtlich des Selbstvertrauens aus. Über die Hälfte der Eltern schätzen, dass sich ihre Kinder in den vergangenen Monaten wenigstens teilweise einsam fühlten. Sofern die Schüler:innen zusätzlich digitalen Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, reagieren sie verletzt, wütend oder verängstigt. Die Folge sind massive gesundheitliche Einschränkungen: Ängste, Schlafstörungen und Depressionen seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt. Jede:r vierte betroffene Schüler:in äußerte bereits Suizidgedanken. Wir sprechen also von Auswirkungen, die nicht nur akut in der Situation wirken, sondern oft noch Jahre später das Leben der Betroffenen bestimmen.
Im zweiten Teil des Artikels erfährst Du, wie Schulen diesen Herausforderungen gerecht werden können, damit Schüler:innen nicht länger auf sich allein gestellt bleiben.
Zum zweiten TeilVon Marek